Triffst du die Entscheidungen – oder treffen sie dich?
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Natürlich sind wir alle fest davon überzeugt, unseres eigenen Glückes Schmied zu sein und über einen freien Willen zu verfügen. Doch möglicherweise steckt hinter dieser weitverbreiteten Überzeugung ein kleiner Trick, der unsere Wahrnehmung ein wenig in die Irre führen soll.
Es gibt eine sehr einfache Methode, um die eigene Willenskraft zu testen: Setze dich in einem ruhigen Zimmer auf einen Stuhl und nimm dir fest vor, für fünf Minuten keinen einzigen Gedanken in dein Bewusstsein vordringen zu lassen, oder anders gesagt: für fünf Minuten an nichts zu denken.
In den meisten Fällen dürfte das Ergebnis dieses kleinen Experiments ziemlich ernüchternd sein. Die deutsche Sprache weiß das. Denn, egal ob wir sagen: "Mir kommt da gerade ein Gedanke" oder "Ich hatte da vorhin einen „Einfall”, beide Formulierungen implizieren, dass etwas von außen in unsere Gedankenwelt eindringt - gleich einem „Einbrecher”, der sich unerlaubt Zutritt zu unserem Haus verschafft.
Der bekannte Neurobiologe Robert Sapolsky jedenfalls argumentiert nachdrücklich gegen die Existenz eines freien Willens. Er betrachtet diesen als Illusion. Hier sind einige seiner wesentlichen Argumente mit ein paar Ergänzungen von mir:
Biologische Mechanismen:
a) Hormone beeinflussen unser Verhalten: Beispielsweise, indem sie unser Hunger- und Sättigungsgefühl steuern, unsere Stimmung regulieren, unsere Emotionen, den Schlaf-Wach-Rhythmus oder die Sexualität.
a) Hormone beeinflussen unser Verhalten: Beispielsweise, indem sie unser Hunger- und Sättigungsgefühl steuern, unsere Stimmung regulieren, unsere Emotionen, den Schlaf-Wach-Rhythmus oder die Sexualität.
b) Körperliche Gegebenheiten: Der eigene Lebensweg hängt maßgeblich davon ab, wie unser Körper gebaut ist. Unser Aussehen, der Gesundheitszustand oder unsere geistige Kapazität können attraktive berufliche und gesellschaftliche Chancen eröffnen oder versperren.
c) Entschlüsse bilden sich in unserem Gehirn, bevor
wir sie bewusst wahrnehmen: Das Libet-Experiment zeigt Hirnaktivität schon Millisekunden vor einer bewussten Entscheidung, das sogenannte "Bereitschaftspotenzial"
Aus biologischer Sicht gibt es also keinen
"freien" Raum, in dem der Wille unabhängig agieren könnte.
Lebensumstände als Kette von Ursachen:
Schöne wie auch weniger schöne Kindheitserlebnisse haben uns ebenso geprägt, wie das Vorbild unserer Eltern oder spezielle kulturelle Eigenheiten unserer Region. Und so schwingen sämtliche bisher gemachten Erfahrungen bei allem, was wir tun, unbewusst mit.
Zudem sind wir Teil des aktuell herrschenden Zeitgeistes, der sich wie ein breiter Strom entlang einer Kette von Ursachen und Wirkungen fortbewegt.
Wie stark unser Denken vom gegenwärtigen Umfeld geprägt ist, zeigt sich beispielsweise bei der Lektüre eines alten Romans. In diesem können deutlich andere Wertvorstellungen zutage treten als die heute gängigen.
Überdenken moralischer Beurteilungen:
Ohne freien Willen entfällt der Stolz über den eigenen Verdienst. Und wenn unsere Mitmenschen dumme Sachen machen, gelingt es uns vielleicht eher, nachsichtig und mitfühlend zu reagieren, da auch sie möglicherweise keine volle Kontrolle über ihr Tun hatten.
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Wenn es den freien Willen des Individuums nicht gibt:
Wessen Wille ist es dann, der das Weltgeschehen antreibt?
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